Erich Mendelsohn (1887–1953)

Schlüsselfigur der modernen Architektur

Als Schlüsselfigur der modernen Architektur war Erich Mendelsohn sowohl im Bereich des Stahlbetonbaus visionär als auch als Vertreter des „organischen Bauens“. Der US-amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright, den Mendelsohn 1924 besuchte, beschrieb seine Architektur als „originell, kraftvoll und zukunftsweisend“. Mendelsohn realisierte die legendären Kaufhäuser der Gebrüder Salman und Simon Schocken, so auch das Kaufhaus Schocken in Stuttgart, welches 1960 leider dem Abriss zum Opfer fiel. In mehreren Ländern und auf drei Kontinenten hat Mendelsohn seine architektonischen Spuren hinterlassen.

    Nach einem Studium der Volkswirtschaftslehre begann der 1887 im ostpreußischen Allenstein geborene Sohn eines jüdischen Kaufmanns an den renommierten Technischen Hochschulen in Berlin-Charlottenburg und München Architektur zu studieren. Anders als einige prominente Vertreter moderner Architektur wie Walter Gropius oder Ludwig Mies van der Rohe schloss er sein Architekturstudium mit der Diplomprüfung ab. Vor dem Ersten Weltkrieg entstanden so gut wie keine Bauten, jedoch ein visionäres zeichnerisches Werk. Diese frühen Skizzen, die Architekturen aus Beton und Eisen in skulpturaler Auffassung zeigen, beeindrucken durch eine freie und rhythmische Ausdrucksweise. Bereits 1919 wurden diese Entwürfe im Kunstsalon von Paul Cassirer in Berlin ausgestellt. Inspirierend waren für den jungen Mendelsohn Künstlerarchitekten wie Joseph Maria Olbrich oder Henry van de Velde. Eine dieser Architekturfantasien zeigt eine optische Fabrik (1917), deren verglaste, geschwungene und strukturierte Türme bereist das Haupttreppenhaus des Warenhauses „Schocken“ in Stuttgart (1926–28/abgerissen 1960) vorausahnen lassen. Die fortschreitende Industrialisierung beobachtend und künstlerisch transformierend, griff er Elemente der Schiffsform wie Rehling, Deck und Kommandoturm auf. In modernen Verkehrsmitteln sah er „Raumsysteme, die sich infolge maschineller Arbeitsleistung  auf der Erde, in der Luft oder im Wasser mehr oder weniger schnell fortbewegen.“

      Mit dem Kaufhaus „Schocken“ realisierte Mendelsohn einen Bau, der mit seinen liegenden Fensterbändern, Flachdach und Stahlbetonstützen eine deutliche Annährung an den „Internationalen Stil“ und das „Neue Bauen“ aufweist. Bereits einige Jahre zuvor hatte er mit dem Potsdamer „Einsteinturm“ (1920) für das Astrophysikalische Institut ein herausragendes Beispiel expressionistischer Architektur geschaffen.

        Die Aufmerksamkeit, die diesem besonderen Bauwerk zuteilwurde, verhalf ihm zu weiteren Aufträgen, wodurch er trotz der schlechten Wirtschaftslage arbeiten konnte. Mit Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe gründete er 1924 den Berliner „Ring“, der zur führenden Vereinigung fortschrittlicher Architekten wurde. In den folgenden Jahren entwarf und realisierte er zahlreiche Fabrik- und Wirtschaftsgebäude, Wohnkomplexe und weitere Kaufhäuser, unter anderem in Berlin, Köln und Leningrad. Auch auf die Berliner Stadtbaukunst wirkte Mendelsohn ein. So baute er am Lehniner Platz am Kurfürstendamm das „Universum“-Filmtheater, das heute die Berliner Schaubühne beherbergt, sowie das Columbushaus am Potsdamer Platz.

        Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten emigrierte Mendelsohn über London nach Israel und schließlich in die USA. Bevor er ab 1946 wieder als freischaffender Architekt arbeitete, war er Berater für die amerikanische Regierung, publizierte und hielt Vorträge an Universitäten wie Yale und Harvard. Seinen architektonischen Stil, den er selbst als „organisch“ bezeichnete, setzte er auch in zahlreichen Bauten in Palästina und in den USA um. Für die Villa Weizmann in Rehovot (1934–1936)  etwa griff er das „Schocken-Prinzip“ nochmals auf, das dynamische Wechselspiel von gestaffeltem und fließendem Raum sowie das von Licht und Schatten.

        Neben großen Bauprojekten realisierte Mendelsohn in verschiedenen amerikanischen Städten Synagogen. Er weigerte sich, Deutschland je wieder zu besuchen. Er formulierte eindeutige Absagen auf Einladungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg an ihn herangetragen wurden. Ebenso sagte er 1950 die Teilnahme am Darmstädter Gespräch „Mensch und Raum“ wie folgt ab: „…solange Deutschland nicht den Mut oder die Einsicht hat, öffentlich die kulturfeindlichen Dinge auszurotten, die in seinem Namen und mit seiner schweigenden Zustimmung geschehen, kann ich als Jude nicht zu der kulturellen Bedeutung Ihres Landes beitragen.“

        Erich Mendelsohn starb am 15.September 1953 in San Francisco.


        Anregungen zum Weiterlesen:

        • Mendelsohn Erich: Mensch und Form. Aus dem Nachlass des Architekten. Ausgewählt und eingeleitet von Oskar Beyer, Berlin 2012.

        • Borrmann, Antje/Mölders, Doreen/Wolfram, Sabine (Hrsg.): Konsum und Gestalt. Leben und Werk von Salman Schocken und Erich Mendelsohn vor 1933 und im Exil, Berlin 2016.

        • Heinze-Greenberg, Ita (Hrsg.): Luise und Erich Mendelsohn: eine Partnerschaft für die Kunst, Ostfildern 2004.

        • Heinze-Greenberg, Ita: Eric Mendelsohn's Synagogues in America, London 2019.

        • Ralle Petra: Konsequenz Abriss: das (un)vermeidbare Ende des Kaufhauses Schocken von Erich Mendelsohn in Stuttgart. Hochschulschrift, Stuttgart 2001.

           


        Links:


        Filmtipp:

        Erich Mendelsohn – Visionen für die Ewigkeit
        Dieser Dokumentarfilm, beschäftigt sich sowohl mit dem Leben Mendelsohns und stellt die Bauwerke eines der wichtigsten Architekten des 20. Jahrhunderts vor.

        Erich Mendelsiohn - Visionen für die Ewigkeit (YouTube)

        Autorin: Jutta Fischer, Metzingen / Aufbereitung für das Netz: Internetredaktion der LpB

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