Laura Schradin (1878–1937)

Arbeiterin, Frauenrechtlerin, Politikerin

Als „Vorkämpferin für die arbeitende Frauenwelt“ engagierte sich die Reutlinger Sozialdemokratin Laura Schradin für die Rechte von Frauen und benachteiligten Bevölkerungsgruppen. 1919 gehörte sie zu den ersten weiblichen Abgeordneten im württembergischen Landtag. Über viele Jahrzehnte setzte sie sich für soziale Belange und Bildungsfragen ein – und sie stritt vehement gegen Krieg und Nationalsozialismus.

Laura Schradin (geb. Pfenning) wurde am 7. September 1878 in Reutlingen in eine Weingärtnerfamilie hineingeboren. Früh musste sie zum Lebensunterhalt der Familie beitragen und erfuhr die sozialen Gegensätze ihrer Zeit am eigenen Leib. Während die Industrialisierung für viele Reutlinger wirtschaftlichen Aufschwung brachte, lebten Bauern- und Weingärtnerfamilien oft in großer Not. Auch die Familie Pfenning konnte sich nicht allein vom Weinbau ernähren, so dass Laura und ihre Geschwister neben dem Einsatz in Haus und Weinberg mit Heimarbeit zum Familieneinkommen beitragen mussten. Eine über die Volksschule hinausgehende höhere Bildung blieb dem begabten Mädchen verwehrt.

Schon in ihrer Jugend beschäftigte sich Laura Schradin mit Politik. Sie las Marx, Engels und Bebel („Die Frau und der Sozialismus“). Dies und ihre Erfahrungen in der Heimarbeit veranlassten sie, sich mit den Lebensbedingungen von Arbeitern im boomenden Reutlingen zu befassen. 1896 begann sie, in einer Reutlinger Textilfirma als Weberin zu arbeiten. Entgegen der damaligen Konvention, dass junge Frauen bis zur Hochzeit im Elternhaus wohnten, mietete sie ein eigenes Zimmer. Neben der Fabrikarbeit bildete sie sich selbst weiter, interessierte sich für Gewerkschaftsarbeit und wurde mit 19 Jahren aktives Mitglied der SPD – zwei Jahrzehnte, bevor Frauen in Deutschland wählen durften.

Laura Schradins Einsatz galt vor allem der Gleichberechtigung – vom Recht auf Bildung über den Kinderschutz bis zur Forderung nach dem Wahlrecht für Frauen. Rasch profilierte sie sich in der SPD als gute Rednerin. 1905 heiratete sie Fritz Schradin, der Prokurist in derselben Firma war, in der sie arbeitete. Hochzeit, Ehe und die Geburt der Tochter im Jahr 1910 hielten sie nicht davon ab, ihre Interessen weiter zu verfolgen. An der Tübinger Universität hörte sie Vorlesungen, interessierte sich für Kunst und blieb politisch aktiv. 1907 nahm sie am Internationalen Sozialistenkongress in Stuttgart teil und lernte dort Rosa Luxemburg kennen. Mit Clara Zetkin und Lily Braun („Die Frauenfrage“) stand sie in reger Korrespondenz. Fritz Schradin, selbst eher liberal eingestellt, unterstützte das politische Engagement seiner Frau, die sich auch als prägnant formulierende Analytikerin erwies. So schrieb sie 1909: „Heute, wo durch die Gewerkschafts- und Parteiorganisation so vieles geleistet wird, um Licht in die Gehirne zu bringen, […] darf niemand mehr sagen: Ich kann nicht. Lieber gleich die Wahrheit sagen und sagen: Ich will nicht!“

1914 sprach sich die vehemente Kriegsgegnerin Laura Schradin öffentlich gegen die aufkommende Kriegsgefahr aus. Eine kurzzeitige Festnahme unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkriegs hinderte sie aber daran, dies weiterhin zu tun. Rasch erkannte sie, wie sehr der Krieg Frauen in wirtschaftliche Not trieb. Dies weckte ihren Erfindungsgeist: Unter Einsatz finanzieller Mittel ihres Mannes gründete sie „Kriegsflickwerkstätten“, die über zweitausend Reutlingerinnen in Arbeit, Lohn und Weiterbildung brachten. Nach 1918 war Laura Schradin die einzige Frau im Reutlinger Arbeiterrat und kämpfte auf Wahlversammlungen für „das Recht der Frau“. 1919 wurde sie für die SPD in die verfassunggebende Landesversammlung und in den Landtag von Württemberg gewählt. Von 1919 bis 1925 gehörte sie dem Reutlinger Gemeinderat an. Ihre Kandidatur für die Reichstagswahlen 1920 blieb erfolglos. Nach dem frühen Tod ihres Mannes 1922 und dem Verlust des Familienvermögens in der Inflation arbeitete Laura Schradin im Büro des Reutlinger Konsumvereins.

Ihr politisches Engagement behielt sie bei, kämpfte gegen die Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen und unterstützte sozial Benachteiligte. Trotz gesundheitlicher Einschränkungen blieb sie weiterhin als Rednerin aktiv, ab 1927 auch für die „Reichspartei für Volksrecht und Aufwertung“, der sie nach dem Austritt aus der SPD beigetreten war, um auf die große, durch die Inflation hervorgerufene Not hinzuweisen. Ihre letzte öffentliche Rede hielt sie 1929 im Reutlinger Oberbürgermeisterwahlkampf.

Nach 1933 vertrat die inzwischen in Tübingen lebende Laura Schradin eine ablehnende Haltung gegenüber dem NS-Regime. Im Herbst 1933 versteckte sie einen verfolgten Kommunisten. Gegen den Versuch der Nationalsozialisten, das durch Einnahmen der Kriegsflickwerkstätten finanzierte Frauenerholungsheim in Trochtelfingen zu einer NS-Bräuteschule zu machen, protestierte sie. Wegen „Beleidigung der Partei“ und „Volksverhetzung“ wurde sie 1935 zu drei Monaten Haft verurteilt. Aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands nach einem Schlaganfall blieb ihr die Gefängnisstrafe erspart.

Laura Schradin starb am 8. März 1937 im Alter von 58 Jahren in Tübingen.

Download der Kurzbiographie (PDF)

Anregungen zum Weiterlesen:

  • LANDMESSER, Paul/PÄSSLER, Peter (Bearb.): Wir lernen im Vorwärtsgehen! Dokumente zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Reutlingen 1844–1949, hrsg. von der Industriegewerkschaft Metall für die Bundesrepublik Deutschland, Verwaltungsstelle Reutlingen, Heilbronn 1990.

  • Laura Schradin – ein selbstbestimmtes Leben im Dienste der Schwachen der Gesellschaft, in: Laura-Schradin-Schule Reutlingen (Hrsg.): 125 Jahre Hauswirtschaftliche Schule Reutlingen 1868–1993, Reutlingen 1993, S. 32–38.

  • RIETH, Gustav Adolf: Laura Schradin, ein Leben für das Recht der Frau, in: Reutlinger Geschichtsblätter, NF 17 (1978), S. 7–37.

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