Die Geschichte des „Neuen Bauens“

im Südwesten und das „Haus auf der Alb“

Schulen und Architekten

Die architektonische Moderne im Südwesten wurde geprägt von international agierenden Architekten wie Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969), Walter Gropius (1883–1969) , Le Corbusier(1887-1965) oder Erich Mendelsohn (1887–1953). Ihre Namen stehen in Verbindung mit den modernen Richtungen des „International Style“ oder des „Neues Bauens“. Gleichermaßen aber bereicherten in den 1920er- und 1930er-Jahren Architekten der „Stuttgarter Schule“ oder einige Lehrer der Karlsruher Technischen Hochschule den südwestdeutschen Raum mit moderner Architektur.

Die „Stuttgarter Schule“ verwarf den Historismus des 19. Jahrhunderts und vertrat zugleich eine konservativ klassische Bauweise. Vom Architekten und Gründungsmitglied des Deutschen Werkbundes Theodor Fischer (1862–1938) geprägte Professoren wie Paul Bonatz (1877–1956), Paul Schmitthenner (1884–1972) und Heinz Wetzel (1882–1945) bestimmten die Architekturabteilung der Stuttgarter Technischen Hochschule. Sie wandten sich einer materialgerechten Bauweise zu, die regionale Einflüsse berücksichtigte. Deren Studenten wie Richard Döcker (1894–1968), Ernst Otto Oßwald (1880–1960), Hans Volkart (1895–1965) oder der Architekt des „Hauses auf der Alb“, Adolf Gustav Schneck (1883–1971), später teils selbst Professoren der Hochschule, öffneten sich in bestimmten Phasen ihrer Biographie dem „Neuen Bauen“. Die Kennzeichen dieser Strömung war die Ablehnung herkömmlicher Formen und die Öffnung der Architektur nach außen, die radikale Verwendung neuer Werkstoffe und Baumethoden, Typisierung und Standardisierung sowie die Erprobung neuer Wohntypologien.

Wie an den meisten Technischen Hochschulen der Weimarer Republik setzte sich auch an der Karlsruher Technischen Hochschule die Moderne nur zaghaft durch. Lehrten dort vor dem Ersten Weltkrieg mit Hermann Billing (1867–1946) ein Vertreter des Jugendstils und mit dem Architekten Friedrich Ostendorf (1871–1915), ein Hoffnungsträger, dessen „Sechs Bücher vom Bauen“ die jüngere Generation stark prägten, standen ab 1920 zumindest zwei Namen für das „Neue Bauen“ in Karlsruhe: Hermann Alker (1885–1967), der dort ab 1920 lehrte, und später Otto Ernst Schweizer (1890–1965). Während sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Karlsruher Technische Hochschule mit Egon Eiermann (1904–1970) klar zur Moderne bekannte, blieb für Stuttgart eine stilistische Offenheit charakteristisch.

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Beispiele des „Neuen Bauens“ im Südwesten

zur Bauhaus-Karte (rund 20 Orte des Bauhauses und der Moderne in BW)

Als prominentes Leuchtturmprojekt der Moderne entstand 1927 im Rahmen der Werkbundausstellung „Die Wohnung“ die Mustersiedlung am Weißenhof in Stuttgart unter der künstlerischen Oberleitung Ludwig Mies van der Rohes sowie der technischen Leitung Richard Döckers. 17 Architekten aus Stuttgart, Deutschland und dem Ausland, darunter Le Corbusier, Walter Gropius, Hans Scharoun (1893–1972) , Josef Frank (1885–1967), Jacobus J.P. Oud (1890–1963), Mart Stam (1899–1986) oder Adolf Schneck fanden mit rationaler Architektur, organischem Bauen sowie mit traditionell-zweckmäßigen bis hin zu avantgardistischen Entwürfen unterschiedliche Antworten auf die Frage „Wie Wohnen?“.

Der Bebauungsplan Mies van der Rohes sah eine durch Terrassen gegliederte Anlage kubischer niedriger Wohnhäuser vor, in lockerer Weise gruppiert und von höherragenden Bauten begrenzt. Jedes Haus sollte ein Flachdach haben. Dies war die einzige gestalterische Vorgabe des künstlerischen Leiters. Der Plan stellte einen deutlichen Bruch mit dem traditionellen Architekturverständnis dar.

Adolf Gustav Schneck konnte mit seinen Weißenhof-Beiträgen wertvolle Erfahrungen für sein späteres Vorhaben in Urach sammeln. Modernes Formenvokabular wie Flachdach, horizontale Fensterformate und kubische Baukörpergestaltung kennzeichnen seine Gebäude. Er zählte unter den Weißenhofarchitekten zu den Vertretern der gemäßigten Moderne und war mit einem Einfamilienhaus mit Luftbad vertreten, worin seine schlichten Holzmöbel zu sehen waren, die sich auch in einer Wohnung des Mies-van-der-Rohe-Blocks wiederfanden. Schneck errichtete am Weißenhof weitere Einfamilienhäuser, die das „Neue Bauen“ in Stuttgart mitbegründeten: sein privates Wohnhaus an der Friedrich-Ebert-Straße, das im Rahmen der Werkbundausstellung ebenfalls besichtigt werden konnte, sowie zwei Typenhäuser für private Bauherren aus der Entwurfsserie einer geplanten, jedoch nicht realisierten Beamtensiedlung.

Die vielschichtige Kontroverse um die Weißenhofsiedlung, die sich zwischen den progressiven Vertretern des „Neuen Bauens“ und der traditionellen „Stuttgarter Schule“ um Paul Bonatz und Paul Schmitthenner entwickelte, ließ in der Folge die Stuttgarter als besonders konservativ erscheinen. Tatsächlich verließen Bonatz und Schmitthenner aus Protest den Werkbund, da der Antrag auf Alternativentwürfe zu Mies van der Rohes Konzept rundweg abgelehnt wurde. Später allerdings verteidigte Paul Bonatz, der selbst mit dem schmucklosen, kubisch konzipierten Stuttgarter Bahnhof den modernsten seiner Zeit geschaffen hatte, das „Neue Bauen“.
Das weltweit erste Turmhaus als Stahlbetonkonstruktion mit Sichtbetonfassade wurde 1928 in Stuttgart eingeweiht. Der Architekt Ernst Otto Oßwald fand mit dem Tagblatt-Turm als Beispiel des „Neuen Bauens“ weithin Beachtung. Um die Turmecken gehende Fensterbänder, schmale Balkone, kubische Staffelung und nächtliche Beleuchtung mit Neonröhren kennzeichnen das 18-stöckige Hochhaus für den Stuttgarter Zeitungsverlag. Oßwald konnte sich im Wettbewerb mit seinem gelungenen und fortschrittlichen Entwurf gegen Schwergewichte der Stuttgarter Architekturszene wie Paul Bonatz, Hugo Keuerleber (1883–1949) und Heinz Wetzel durchsetzen. Auch Adolf Gustav Schneck nahm mit einem Entwurf, der charakteristische Aspekte des „Neuen Bauens“ aufgriff, an dem renommierten Wettbewerb teil.

Zeitgleich entstand schräg gegenüber in der Stuttgarter Innenstadt das von Erich Mendelssohn entworfene Kaufhaus Schocken. Ein halbrunder gläserner Treppenturm, Fensterbänder und Flachdach zeichneten das in der Nachkriegszeit unter internationalen Protesten abgerissene Gebäude aus. Wenn schon tagsüber die transparenten großflächigen Fensterbereiche durch Spiegelungen den Außenraum mit dem Innenraum verzahnten, wirkte der Bau vor allem nachts durch künstliche Beleuchtung: Das Gebäude wurde hier in seiner Konstruktion besonders betont. Wenn der Bau von innen leuchtete, wurden die Stahlbetonstützen durch starke Hell-Dunkel-Kontraste optisch hervorgehoben. Nach Abriss wegen Neuorganisation des Kaufhauses entstand 1960/61 ein Neubau, den Egon Eiermann ausführte.

Handelte es sich bei der Stuttgarter Weißenhofsiedlung um ein innovatives und international wahrgenommenes Experiment, war die Dammerstocksiedlung Karlsruhe von 1929 eine reine Gebrauchssiedlung, bei der rationelle Bebauungsweisen und Wirtschaftlichkeit im Vordergrund standen. Den Lageplan für die Siedlung im Zeilenbau erarbeiteten Walter Gropius und Otto Haesler (1880–1962) aus Celle. Dieser Gebäudetyp fand Ende der 1920er-Jahre große Zustimmung unter den Architekten des „Neuen Bauens“, sorgte er doch für die Gleichwertigkeit aller Wohneinheiten bei besten Durchlüftungsmöglichkeiten und gleich günstiger Sonnenlage. Für Gropius war Dammerstock sein Hauptwerk im Bereich der Siedlungsplanung und zudem sein erstes Projekt nach dem Ausscheiden als Direktor des Dessauer Bauhauses. Als künstlerischer Oberleiter legte er einheitliche Richtlinien fest. Zu diesen zählten gleich große Fensterelemente, flaches Dach, weißer Fassadenputz und einheitliche Gärten.

Für Otto Haesler, der bereits Erfahrungen im Siedlungsbau hatte, war die „vorteilhafteste Erschließung des Geländes im Interesse erhöhter Volksgesundheit“ von besonderer Bedeutung: „schlafräume nur vormittagssonne, wohnräume mindestens nachmittagssonne, besser vormittags- und nachmitagssonne.“ Um sich von der Weißenhofsiedlung, die von weiten Teilen der Bevölkerung abgelehnt wurde, zu unterscheiden, argumentierten Architekten und der Baubürgermeister Hermann Schneider (1881–1965) vor allem mit pragmatischen Argumenten. Ästhetisch-formale Diskussionen wurden vermieden, denn es sollten ja künftige Mieter geworben werden.

Ein weiteres Beispiel des „Neuen Bauens“ in Karlsruhe ist der Wohnblock für 154 Einheiten, den der Hochschullehrer Hermann Alker in der Nähe des Bahnhofs plante und umsetzte, wobei er auf die formale Konzeption von Fritz Rößler (1886–1961), des Wettbewerbssiegers von 1928, zurückgriff. Erinnert die Grundform des Komplexes an eine klassische Blockrandbebauung, so forderte schon der Wettbewerbstext eine „neuzeitliche“ Grundrissorganisation und Fassadengestaltung. Mit Flachdächern, klarer Gliederung der Baumassen, Fassadengestaltung und Farbigkeit sowie einem luftig hellen Innenhof entsprechen die Bauten den Charakteristika der „Neuen Sachlichkeit“. Heute wird das moderne Tribünengebäude des alten Hochschulstadions Karlsruhe (1930) in Stahlbetonkonstruktion mit spitz zulaufenden Stichbögen wesentlich mit der Architektur Hermann Alkers verbunden.

 

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Architekten des „Neuen Bauens“ und das „Haus auf der Alb“

Neben Adolf Schneck stehen auch die Architekten Martin Elsaesser (1884–1957) und Richard Döcker im Zusammenhang mit dem Uracher Kaufmannserholungsheim und dem „Neuen Bauen“. Martin Elsaesser, wie Döcker Vertreter der „Stuttgarter Schule“ und bekannt geworden durch den Bau der dortigen Markthalle, gewann den ersten Architekturwettbewerb 1916 für das zunächst als „Wilhelm-Charlotte-Heim“ geplante Gebäude. Nachdem dieser noch traditionelle, wuchtige Entwurf wegen des Ersten Weltkriegs nicht realisiert werden konnte, saß Elsaesser dann im Preisgericht des erneuten Wettbewerbs von 1928. Zu diesem Zeitpunkt war der gebürtige Tübinger bereits Leiter des Frankfurter Hochbauamtes unter Stadtbaurat Ernst May (1886–1970) und mitverantwortlich für das Entstehen des Projektes „Neues Frankfurt“ im Stil einer schmucklosen Neuen Sachlichkeit. So entstand unter seiner Leitung 1927 das Gartenhallenbad in Frankfurt-Fechenheim sowie 1927/28 die Großmarkthalle in Frankfurt am Main, heute Konferenzzentrum und Eingangsbauwerk der Europäischen Zentralbank.

 

Richard Döcker, der am zweiten Wettbewerb für das „Haus auf der Alb“ teilnahm, erhielt hierfür zwar eine Auszeichnung, nicht aber den Auftrag für die Realisierung, obwohl er auf dem bautypologischen Sektor der erfahrenere Architekt war. Schon von 1926 bis 1928 realisierte er am Südhang über der Rems in Waiblingen das wegweisende Bezirkskrankenhaus im Terrassentyp mit Flachdach in Stahlskelettbauweise nach heliotropen Gesichtspunkten. Der Baukonzeption legte er die medizinische Literatur seiner Zeit zugrunde. Diese verwies auf die wichtigen Heilfaktoren „Licht, Luft, Sonne“. Das Maulbronner Krankenhaus mit flachem Walmdach und Natursteingemäuer von 1928 griff regionale Aspekte auf und fiel nicht mehr in Döckers experimentelle Phase. Zuvor hatte er bereits zahlreiche Bauten mit modernem Vokabular realisiert. Als Befürworter des Zeilenbaus wurde Döcker ebenso zur Teilnahme an der von Walter Gropius realisierten Karlsruher Dammerstocksiedlung aufgefordert.

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Autorin: Jutta Fischer, Metzingen | Aufbereitung für das Netz: Internetredaktion der LpB

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