Richard Döcker (1894–1968)

Württembergischer Architekt der „Stuttgarter Schule"

Der in Weilheim an der Teck geborene Architekt Richard Döcker gehörte zu einer kleinen Gruppe württembergischer Architekten, die in den 1920er-Jahren die Entwicklung des „Neuen Bauens“ voranbrachten. Döcker war neben Ernst Otto Oßwald und Martin Elsaesser Vertreter der traditionellen „Stuttgarter Schule“ um Paul Bonatz und Paul Schmitthenner. Die „Stuttgarter Schule“ verwarf den Historismus des 19. Jahrhunderts und vertrat zugleich eine konservativ klassische Bauweise. Döcker war technischer Bauleiter der Stuttgarter Weissenhofsiedlung (1927) und wurde als Befürworter des Zeilenbaus auch zur Teilnahme an der von Walter Gropius realisierten Karlsruher Dammerstocksiedlung aufgefordert. Neben Adolf Gustav Schneck hatte auch Richard Döcker am Architektenwettbewerb für das Uracher Kaufmannserholungsheim teilgenommen, erhielt dafür aber nur eine Auszeichnung und nicht den Auftrag für die Realisierung.

     

    Zu diesem Zeitpunkt, 1929/30, war er bereits Mitglied des Deutschen Werkbunds sowie der Architektenvereinigung „Der Ring“. Es folgte eine Mitarbeit im CIAM – dem Internationalen Kongress für modernes Bauen. Vor diesem Hintergrund sowie dem Einfluss amerikanischen Fortschrittsdenkens, hatte er bereits moderne Hochhauspläne für Stuttgart konzipiert sowie die Anlage für den Flughafen in Böblingen.

      Besonders tat er sich durch die Entwicklung des Terrassenhaustyps hervor, den er aufgrund der Stuttgarter Hanglagen entworfen hatte. So entstanden nach seinen Vorgaben Einfamilienhäuser und Siedlungen , aber auch das heute zerstörte, richtungsweisende Waiblinger Bezirkskrankenhaus (erbaut 1926–1928). Hierbei spielte die zeittypische „hygienische Gestaltung“, die sich an Licht, Luft, Sonne orientierte und den Außenraum mittels Terrassen einbezog, eine wesentliche Rolle.

        In diesem Sinne realisierte er als Bauleiter der Weissenhofsiedlung dort selbst zwei Einfamilienhäuser, die 1944 im Weltkrieg zerstört wurden. Bevor die Machtübernahme der Nationalsozialisten zu einem Einschnitt in seiner Laufbahn führte, zeigte sich sein soziales Engagement während der Weltwirtschaftskrise. So entstanden unter anderem in Zusammenarbeit mit Ernst Wagner und Hugo Keuerleber die beiden Stuttgarter Siedlungen „Schönbühl“ an der Ostendstraße und „Im Wallmer“ in Stuttgart-Untertürkheim.

        Begonnen hatte Döcker seine Laufbahn an der Technischen Hochschule Stuttgart. Dort studierte der Sohn eines Realschullehrers Architektur. Nach seinem Militärdienst im Ersten Weltkrieg arbeitete er als Assistent von Paul Bonatz an der Technischen Hochschule und wurde 1923 mit einer Arbeit über Typenpläne für Kleinwohnungen promoviert. In frühen Jahren war Döcker aufgeschlossen gegenüber allem Fortschrittlichen und Neuen; vehement vertrat er seine Interessen und Standpunkte. So auch bei der Stuttgarter Kochenhofsiedlung, einem Projekt, das ihm vom Deutschen Werkbund übertragen wurde. Durch die politische Wende 1933 wurden seine Planungsarbeiten jedoch gegenstandslos. Als Vertreter des „Neuen Bauens“ galt er den neuen Machthabern als „Kulturbolschewist“. 1936 erhielt er dennoch den Auftrag für ein öffentliches Gebäude. Die Gemeinde Oberderdingen übertrug ihm den Bau einer Volksschule mit Hauswirtschaftsschule. Es kam zu den zeittypischen Diskussionen um Dachform und Fenstereinteilung, welche die widerstreitenden Architekturauffassungen „Heimatstil“ und „Neues Bauen“ aufzeigten. Das Ergebnis waren andere Fensterteilungen als von Döcker vorgesehen sowie ein steileres Dach. Trotz schwindender beruflicher Möglichkeiten – es gab wenige Aufträge privater Bauherren – kam für Döcker eine Emigration nicht in Betracht.

        1941 wurde er zum Wiederaufbau Saarbrückens  dienstverpflichtet.  undnach Kriegsende zum ersten Generalbaudirektor von Stuttgart benannt. Als Leiter des Zentralen Aufbaus Stuttgarts (ZAS)  war er wesentlich am Wiederaufbau der Stadt beteiligt. Sein in frühen Jahren gezeigtes Engagement für die Moderne wich in den Nachkriegsjahrzehnten einem weniger kraftvollen Spätfunktionalismus. 1949 schrieb ihm Walter Gropius aus den USA: „Don’t lose your fighting spirit.“
        Als ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart übernahm er 1947 den Lehrstuhl für Städtebau und Wiederaufbau und war Juror zahlreicher Architekturwettbewerbe. Nach seiner Emeritierung 1958 arbeitete er zuletzt gemeinsam mit Jürgen Brenner als freier Architekt. Richard Döcker starb am 9. November 1968 in Stuttgart.


        Anregungen zum Weiterlesen:

        • Bund Deutscher Architekten (Hrsg.): „BDA-Architekturgalerie“: Richard Döcker. 1894–1968, Stuttgart 1982.
        • Dutzi, Claudia: Flaggen wechseln! Architektonische Moderne im Nationalsozialismus, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 (Online), Stuttgart 2001.
        • Knudsen, Martina/ Reiff, Angelika/Teltschik, Susanne: Das Wohnhaus Kamm von Richard Döcker. Eine baubegleitende Spurensuche, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 4 (Online), Stuttgart 2020.
        • Mehlau-Wiebking, Friederike: Richard Döcker. Ein Architekt im Aufbruch zur Moderne, Braunschweig 1989.
        • Vetter, Andreas K.: Richard Döcker. Siedlung, Haus, Farbe, Baunach 2003.

        Links:

        Autorin: Jutta Fischer, Metzingen / Aufbereitung für das Netz: Internetredaktion der LpB

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