Wassily Kandinsky (1866–1944)

Wegbereiter der abstrakten Kunst

„Dieses innere Schöne ist das Schöne, welches mit Verzicht auf das gewohnte Schöne aus befehlender innerer Notwendigkeit angewendet wird. Dem nicht daran Gewöhnten erscheint natürlich dieses innere Schöne hässlich, da der Mensch im allgemeinen zum Äußeren neigt und nicht gerne die innere Notwendigkeit erkennt.“

 

Der russische Maler, Grafiker und Kunsttheoretiker Wassily Kandinsky war einer der Wegbereiter gegenstandsloser Kunst. Konsequent verfolgte er das Ziel einer abstrakten Malerei, die nach seinen Vorstellungen im 20. Jahrhundert keine äußeren Wirklichkeiten mehr wiedergeben sollte. Er gehörte zur Strömung des Expressionismus und war mit seiner einflussreichen Schrift „Über das Geistige in der Kunst“ Vordenker der Künstlervereinigung „Der Blaue Reiter“. Als Lehrer am Bauhaus wirkte er von 1922 bis zu dessen erzwungener Selbstauflösung 1933.

    In Moskau als Sohn wohlhabender Eltern geboren, wuchs Wassily Kandinsky nach der Scheidung der Eltern bei seinem Vater auf, dem Leiter einer Teehandelsgesellschaft. Die Erziehung erfolgte wesentlich durch seine Tante Elisabeth Tichejewa, einer hochgebildeten Frau. Ihr widmete er später sein Buch „Über das Geistige in der Kunst“, das 1912 in München erschien. In Odessa an der Schwarzmeerküste, wo die Familie seit 1871 lebte, besuchte er das humanistische Gymnasium und studierte anschließend an der Universität in Moskau Rechtswissenschaften, Nationalökonomie und Statistik. Nach seinem Abschluss wurde er dort wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachbereich Ökonomie und Statistik. In seinen „Rückblicken“ erwähnt Kandinsky die starke Wirkung, die bemalte Bauernstuben in der Provinz Wologda während einer Expedition auf ihn ausübten. Später, beim Besuch einer Ausstellung französischer Kunst, beeindruckte ihn besonders die abstrakte Wirkung eines Gemäldes Claude Monets (1840–1926) aus der Serie der „Heuhaufen“.

    Mit seiner Ehefrau Anja Fedorowna Schemjakina zog Kandinsky 1896 nach München, dem Ziel vieler Kunststudenten aus Osteuropa. Dort begann er noch mit 31 Jahren Kunst zu studieren, zunächst an der privaten Kunstschule des Slowenen Anton Ažbe (1862–1905), wo er Alexej Jawlensky (1865–1941) und Marianne Werefkin (1860–1936) kennenlernte, dann für ein Jahr bei Franz von Stuck an der Münchener Kunstakademie. Kandinskys frühe Arbeiten zeigen zum einen gegenständliche Ölstudien mit landschaftlichen Motiven, zum anderen märchenhafte Temperabilder mit altrussischen Szenarien.

    1901 gründete Kandinsky zusammen mit progressiven Künstlerpersönlichkeiten der Schwabinger Kunstszene die Ausstellungsgemeinschaft „Phalanx“. Aus ihr ging ein Jahr später eine private Malschule hervor. Dort wurde Gabriele Münter (1877–1962) Schülerin seiner Malklasse. Zwei Jahre später wurden die beiden ein Paar und unternahmen zahlreiche Reisen, die sie nach Holland, Tunis, Dresden, Rapallo und Sèvres bei Paris führten, was nicht zuletzt eine Flucht aus den unklaren Verhältnissen in München war. Dorthin zurückgekehrt, entdeckten sie das bayrische Voralpenland für sich als idealen Platz zum Malen. Dies brachte für Kandinsky den Durchbruch zu einer farbintensiven, expressiven und abstrakten Malerei.

      1909 gründeten Marianne Werefkin, Alexej Jawlensky, Wassily Kandinsky und Gabriele Münter die Neue Künstlervereinigung München (NKVM), aus der 1911 „Der Blaue Reiter“ hervorging. Mit Franz Marc (1880–1916) und Gabriele Münter gründete Kandinsky in Murnau, wo Münter ein Haus erworben hatte, diese bis 1914 bestehende, einflussreiche Gruppe. „Der Blaue Reiter“ steht für eine internationale Ausrichtung sowie das Zusammenwirken verschiedener Kunstgattungen wie Musik und Bildende Kunst. Letzteres ging schließlich auch aus einem intensiven Austausch zwischen Kandinsky und dem Komponisten Arnold Schönberg (1874–1951) hervor sowie aus der Zusammenarbeit mit dem russischen Komponisten Thomas von Hartmann (1885–1956).

      Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs verließ Kandinsky Deutschland. Wie zahlreiche russische Landsleute galt er als Angehöriger einer feindlichen Nation. Nach einem kurzen Aufenthalt in der Schweiz ging er zurück nach Moskau, wo er sich bis 1921 aufhielt. Zwischenzeitlich von seiner ersten Frau geschieden, heiratete er dort die zwanzigjährige Nina Nikolajewna Andrejewskaja (1896–1980). Als Direktor des Staatlichen Museums für Malkultur sowie als Vorsitzender der gesamtrussischen Ankaufskommission für Museen, hatte er in diesen Jahren Einfluss auf die russische Kulturpolitik. Und auch als Leiter der Sektion „Monumentale Kunst“ des Instituts für Künstlerische Kultur (INChUK) sowie durch seine Lehrtätigkeit an den Höheren Staatlichen Künstlerisch-Technischen Werkstätten (WChUTEMAS) konnte er das kulturelle Leben Russlands mitbestimmen. Kandinsky, der kein Mitglied der Kommunistischen Partei war, geriet in künstlerische und weltanschauliche Isolierung. Deshalb sowie aufgrund der miserablen Versorgungslage infolge der Russischen Revolution kehrte er 1921 nach Deutschland zurück. Die Berliner Kunstwelt empfing ihn mit offenen Armen und er traf vereinzelt Kollegen.

      1922 schließlich lud ihn Walter Gropius (1883–1969) ein, eine Lehrtätigkeit am 1919 gegründeten Bauhaus in Weimar zu übernehmen. Kandinsky willigte ein und übernahm die Werkstatt für Wandmalerei sowie im Rahmen der erweiterten Formenlehre den „Gestaltungsunterricht Farbe“. In seinem Unterricht ließ Kandinsky den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb die drei Grundformen Quadrat, Kreis und Dreieck zuordnen. Diese Zuordnung, die sich wissenschaftlich gebärdete aber letztlich eine subjektive war, wurde von Bauhaus-Kollegen wie Oskar Schlemmer (1888?1943) ironisch kommentiert:

      „Es wurde beschlossen, dass sie [die der Form entsprechende elementare Grundfarbe] Gelb für Dreieck, Blau für Kreis und Rot für Quadrat sei; sozusagen ein für allemal.“

      Dennoch entstand durch grafische Umsetzung dieser Form- und Farbkombinationen für Werbematerial eine Art Bauhaus-Signet. Im Unterricht für „Analytisches Zeichnen“ bezog sich Kandinsky auf seine Schrift „Punkt und Linie zu Fläche“, die in der Reihe der Bauhausbücher 1926 erschien. Die Studierenden sollten hierbei Gegenstände so zu Punkten und Linien reduzieren, dass sie nur noch Assoziationen an Gesehenes waren. Auch ging es um Analogien zu Musik und Tanz, wie etwa Paukenschläge oder Bewegungen. Seine eigene Malerei hatte sich unterdessen nicht zuletzt durch Einflüsse des russischen Konstruktivismus nach dem Krieg grundlegend verändert. Die wolkigen, expressiven Farbflecke der Zeit des „Blauen Reiters“ wandelten sich zu rationalen, konstruierten Bildkompositionen.

      Wassily Kandinsky war nach den Stationen Weimar und Dessau auch noch unter dem Bauhaus-Direktor Mies van der Rohe (1886−1969) in Berlin an der Lehranstalt tätig. Als das Bauhaus 1932 in eine alte Telefonfabrik nach Berlin Steglitz umziehen musste, verteidigte er die neuen NS-Machthaber noch gegenüber der ausländischen Presse. Sie würden die moderne Kunst noch missverstehen und er hoffe, dass sie die Moderne - wie die Italiener - bald als ihre faschistische Kunst anerkennen würden. Im Folgejahr aber verließ er mit Nina Kandinsky wegen zunehmender Bedrohungen durch die Nationalsozialisten Deutschland und emigrierte nach Paris. Dort entstand sein von biomorphen Strukturen geprägtes Spätwerk. Er hielt Kontakte zu Kollegen und verwarf mehrfach den Gedanken, in die USA auszuwandern.

      Wassily Kandinsky starb am 13. Dezember 1944 im Alter von 78 Jahren in Neuilly-sur-Seine.


      Anregungen zum Weiterlesen:

      • Bilang, Karla (Hrsg.): Wassily Kandinsky. Gabriele Münter. Herwarth Walden. Briefe und Schriften 1912–1914, Bern 2012.
      • Düchting, Hajo: Wassily Kandinsky, München 2008.
      • Friedel, Helmut (Hrsg.): Kandinsky. Absolut Abstrakt, München 2009.
      • Graeff, Alexander: Wassily Kandinsky. Maler, Grafiker und Pädagoge in Weimar, Wiesbaden 2017.
      • Nerdinger, Winfried: Das Bauhaus. Werkstatt der Moderne, München 2018.
      • Weißbach, Angelika: Unterricht am Bauhaus. 1923–1933, Berlin 2015.

      Link:


      Filmtipp:

      Wassily Kandinsky - Gelb - Rot - Blau (YouTube)

      Autorin: Jutta Fischer, Metzingen / Aufbereitung für das Netz: Internetredaktion der LpB

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